Die Schokoladenformensammlung Anton Reiche begrüßt gleich im Eingangsbereich unsere Gäste im Schokoladenmuseum. Sie ist ein einzigartiges Zeugnis Dresdner Industriegeschichte und einmalig in ihrer Geschlossenheit. Was genau macht sie so besonders, und warum sind die Formen noch heute so begehrte Sammlerstücke?

Im Spätsommer 2017 betrat ein Herr unseren Schokoladenkontor in der Schloßstraße 20 – charmant grüßend mit Wiener Akzent. Er begutachtete interessiert die Schokoladenvielfalt in unseren Regalen, beobachtete das rege Kundentreiben und ließ sich einige unserer Köstlichkeiten in der Kakaostube schmecken. Schließlich hinterlegte er am Tresen seine Visitenkarte und kündigte eine Mail für die folgenden Tage an. Der Herr war André Tinhofer und sein Nachname uns bekannt: Monika Tinhofer – seine Mutter, wie wir kurz darauf erfuhren – hatte eine umfangreiche Sammlung von Schokoladenformen ihres Urgroßvaters Anton Reiche zusammengetragen und in der Dresdner Bienertmühle seit 2007 ausgestellt. Diese beeindruckende Sammlung hatten wir im Zuge der Recherchen für den Aufbau unseres Schokoladenmuseums besucht, und in der Tat war es die Zukunft von genau dieser, die André Tinhofer zu uns geführt hatte. Was aber macht diese Sammlung so spannend und wertvoll für ein Schokoladenmuseum in Dresden, und warum war Anton Reiche seinerzeit so erfolgreich?

Eingang zum Schokoladenmuseum Dresden

Ein Dresdner Unternehmen mit Weltruhm: die Geschichte der Fabrik von Anton Reiche

Anton Reiche wurde 1845 als jüngstes von sechs Kindern geboren. Er absolvierte eine Klempnerlehre und ging ab 1867 auf Wanderschaft. Diese führte ihn u.a. nach Paris, wo er die Herstellung von Schokoladenformen erlernte. Zurück in Dresden, eröffnete er 1870 seine erste kleine Werkstatt, produzierte zunächst Gießkannen und recht bald auch die ersten Schokoladenformen. Parallel dazu war nicht nur in Deutschland, sondern weltweit die Schokoladenindustrie auf dem Vormarsch: Durch die gesunkenen Preise für Zucker und Kaffee war Schokolade nicht mehr nur als Luxusgenuss dem Adel vorbehalten, sondern auch für bürgerliche Kreise erschwinglich. Dieser Markt wollte erobert werden – von vielen Fabriken, die Schokolade herstellten, aber auch von Zulieferern wie eben Anton Reiche, der nahezu die gesamte Branche mit Schokoladenformen ausstattete. Seine „Schokoladenformen- und Blechemballagenfabrik“ entwickelte sich schnell zum europaweit größten Produzenten von Schokoladenformen, Blechdosen, Kinderspielzeug, Automaten und Schildern.

Schokoladenformen- und Blechemballagen-Fabrik Anton Reiche

Fabrik Innenhof, Portrait Anton Reiche

Ab 1886 produzierte die Firma auf ihrem Fabrikgelände in Dresden-Plauen nicht nur für die zahlreichen Dresdner Schokoladenfirmen der damaligen Zeit, sondern lieferte weit über die sächsischen Grenzen hinaus an namhafte Marken wie Stollwerck, Lindt, Sprüngli, Bahlsen und Manner. Gründe für den rasanten Erfolg gaben es mehrere: Zum einen war Anton Reiche ein überaus cleverer Geschäftsmann und innovativer Geist. So ließ er keine Materialverschwendung zu, indem er die bei der Herstellung der Formen anfallenden Abfälle zu Spielzeug oder Werbeschildern verarbeiten ließ. Das bislang für Schokoladenformen genutzte teure und Grünspan-anfällige Kupferblech ersetzte er durch Weißblech – ein vergleichsweise preiswertes und unsensibles Material, das ihm die Massenproduktion ermöglichte. Auch gelang es Anton Reiche als erstem in Deutschland, Blechdosen farbig zu bedrucken und damit eine völlig neue Qualität für Verpackungsdesign zu kreieren. Und nicht zuletzt war er der Erfinder der Schokoladenautomaten, die von der Firma Stollwerck erstmalig eingesetzt wurden.

Nostalgische Dosen aus Schokoladenkontor in der Schloßstraße von Dresdner Herstellern: Hartwig & Vogel, Petzold & Aulhorn und Jordan & Timaeus.

Schokoladenformen in liebevoller und detailreicher Gestaltung

Die Produkte von Anton Reiche eroberten also Ende des 19. Jahrhunderts die ganze Welt, und seine Fabrik hatte eine beachtliche Größe angenommen: 1895 gab es hier bereits 1100 Beschäftigte, kurz vor dem I. Weltkrieg stieg die Zahl auf 1500 Beschäftigte. Nahezu 4000 Figuren wurden pro Tag produziert. Und diese waren von unglaublicher Vielfalt und mit viel Finesse gestaltet. Anton Reiche beauftragte ausgebildete Gestalter und Zeichner mit den Entwürfen für die Formen. So entstanden Figurenmotive zu fast jedem denkbaren Thema und für die verschiedensten Anlässe: Die Tierwelt umfasste u.a. Kamele, Löwen, Katzen, Hunde, Frösche und Fische. Weihnachtsmänner und Nikoläuse gab es von Miniaturausgabe bis ein Meter Größe, unterwegs auf Schlitten, Vespa oder Fahrrad. Die Ostermotive reichten von Hennen mit und ohne Eier bis zu Hasen in natürlicher Anmutung, aber auch mit menschlicher Garderobe oder gar aus einem Ei schlüpfend – auch diese in allen Größen. Daneben finden sich Teufelsmasken, Zigarren, Munition, Sektkorken, Wanderstiefel und Damenschuhe, Schornsteinfeger und unzählige Menschenfiguren. Diese Auflistung ließe sich noch unendlich erweitern … Was alle Figuren eint, ist die ausgesprochen liebevolle und detailreiche Gestaltung. Da Schokoladenfiguren im 19. Jahrhundert noch nicht wie heutzutage in Aluminiumfolie eingewickelt wurden, galt es, mit der Schokolade selbst gestalterisch zu arbeiten. Und dies gelang Anton Reiche meisterhaft: feinste Fellhärchen und Fischschuppen, kleinste Knöpfe und zarte Stoffmuster konnten mit seinen Formen auf der Schokoladenfigur sichtbar gemacht werden.

Eine riesige Vielfalt von Schokoladenfiguren erwartet Sie in unserem Museum: u. a. Teufelsmasken, Schuhe, Teddys, Hasen, Weihnachtsmänner, chinesische Figuren …

Schokoladenformen aus aller Welt zurück nach Dresden

Nach Anton Reiches Tod im Jahr 1913 blieb das Werk in Familienhand: Es wurde fortan von seinen Söhnen geführt und blieb bis zum II. Weltkrieg bedeutendstes Unternehmen seiner Branche in Deutschland. Der 1945 schwer beschädigte Betrieb wurde in der Nachkriegszeit enteignet und zum VEB Schokoladenformen Dresden umgewandelt, später vom DDR-Kombinat NAGEMA übernommen und 1991 geschlossen. Viele Tausend Schokoladenformen jedoch überlebten, weit gestreut über all jene Länder weltweit, zu denen die Firma Geschäftsbeziehungen hatte. Die erhaltenen Auftragsbücher geben Aufschluss über den Kundenstamm: Alle führenden Schokoladenhersteller aus Dresden, Firmen aus 45 weiteren deutschen und 50 europäischen Städten sowie mehrere Handelspartner aus Übersee sind darin gelistet.

 

Mit der CAMONDAS Museumsbox stimmen Sie sich perfekt auf den Besuch im Schokoladenmuseum in Dresden ein.

 

 

Diese Formen aufzuspüren und so viele davon wie möglich zurück nach Dresden zu holen, hatte sich Anfang der 2000er Jahre die Urenkelin von Anton Reiche, Monika Tinhofer (1928-2011), zur Aufgabe gemacht. Fündig wurde sie in den Ruinen des im II. Weltkrieg fast vollständig zerstörten Dresdner Werkes, direkt bei ehemaligen Kunden, aber auch bei Auktionen und auf Flohmärkten. Im Ergebnis eines langen Prozesses des Recherchierens und Zusammentragens entstand eine einzigartige Sammlung von mehr als 1000 Schokoladenformen, Dosen und auch einigen Musterbüchern, die seinerzeit wie Produktkataloge den Kunden bei der Auswahl halfen. Auch zahlreiche Schokoladenformen von anderen namhaften Herstellern, die auf Entwürfe von Anton Reiche zurückgehen, konnte Monika Tinhofer finden – darunter von Hermann Walter (Berlin; erste deutsche Schokoladenformenfabrik) und E. F. Teich (Wien). Viele spannende Fakten und persönliche Erinnerungen von Monika Tinhofer lassen sich übrigens im Buch „Osterhase, Nikolaus und Zeppelin: Schokoladenformen im Spiegel alter Musterbücher“ (Manfred Bachmann, Monika Tinhofer, 1998) ausführlich nachlesen.

Unsere Empfehlung

 

Von Dresden-Plauen ins Schokoladenmuseum in der Schloßstraße

Nachdem die Formensammlung ab 2007 für 10 Jahre mit der Bienertmühle in Dresden-Plauen ein geschichtsträchtiges, museales Zuhause hatte, sollte sie 2018 an einen ebenso würdigen, neuen Ort umziehen. Monika Tinhofers Sohn, André Tinhofer, schrieb uns später, ihm schwebe vor, die Formen „näher an interessierte Konsumenten von Schokoladeprodukten und/oder in ein Umfeld von gelebter Schokoladen- und Pralinenerzeugung zu bringen“. Nach seinem anfangs beschriebenen Besuch bei CAMONDAS schien ihm die Schloßstraße dieser Ort zu sein, und für uns war dies natürlich angesichts der Hochwertigkeit der Sammlung Ehre und Freude zugleich. Zumal sein Angebot und die daraufhin Ende 2017 startenden Beratungen exakt in eine Phase der Planungen für das Schokoladenmuseum fiel, in der die Konzeption die stattliche Anzahl von mehr als Formen noch berücksichtigen konnte …

Monika Tinhofer 1928-2011

Nach regem Gedankenaustausch zwischen Wien und Dresden und der Prüfung anderer Interessenten bzw. Standorte durch die Familie Tinhofer stand fest: Das CAMONDAS Schokoladenmuseum wird eine der größten Schokoladenformensammlungen weltweit beherbergen! Das bedeutete, dass wir der Historie der Schokolade in Dresden einen noch größeren Platz einräumen und damit genau den inhaltlichen Teil ausbauen konnten, der unser Museum einzigartig in Deutschland macht. Zunächst galt es jedoch, ein Konzept für die Ausstellungspräsentation zu entwickeln, Entwürfe zu beraten und schließlich im August 2018 die Formen von der Bienertmühle zu CAMONDAS umzusiedeln. Im Zuge dessen erhielten die Anton Reiche-Formen auch eine professionelle Inventarisierung: Alle Formen wurden gesäubert, vermessen, fotografiert, nummeriert und tabellarisch erfasst – eine mehrtägige Aufgabe, der sich die Familie Tinhofer gemeinsam mit unseren Mitarbeiterinnen gern stellte. Jede noch so kleine Form ging durch mehrere Hände, bevor sie in Seidenpapier eingehüllt in die Umzugskiste wanderte.

Maxi Fiedler und André Tinhofer beim Säubern und Vermessen der Formen

Inzwischen haben mehrere tausend Besucher die Anton Reiche-Sammlung bei CAMONDAS bestaunt, und auch in Medienberichten ist sie beliebter Mittelpunkt. Unbestrittener Liebling ist natürlich der Riesenhase mit seinen 80 cm Höhe und etwa 20 kg Gewicht, würde man ihn mit Schokolade voll ausgießen.

 

 

Auszüge aus dem Musterbuch der Fabrik Anton Reiche

Unsere Schokoladendrops zum Gießen von Figuren:

 

Aber auch die Weihnachtsmänner und Nikoläuse, Hennen und Küken, Herzen, Schornsteinfeger und Charlie Chaplin werden ausgiebig bestaunt. Und für die Kinder ist natürlich die Auswahl an Tierformen ein besonderes Highlight: Welch cooler Schokoladenzoo ließe sich mit den Bären, Schweinchen, Kamelen und Eisbären von Anton Reiche einrichten! Und wer weiß, vielleicht stehen diese Tiere ja eines Tages tatsächlich als Schokoladenfiguren in den Regalen von CAMONDAS …

Das Gießen haben wir jedenfalls schon mal getestet!